Abenteuer – Segeln

Kategorie  Reisen

„Ich bin, du weißt es, Meer, dein Schüler und mög ich nie verleugnen, daß du mein Meister bist.“ (Rafael Alberti)

Prolog.

Ich bin von 1995 bis 2000 zur See gefahren. Zu sagen, ich habe auf Kreuzfahrtschiffen gearbeitet, entspricht zwar den Tatsachen, doch war dies für mich nur Mittel zum Zweck. Bedingung der Möglichkeit einer Seereise. Einer Fahrt in die Welt und zurück in die Heimat. Bedingung der Möglichkeit eines Abenteuers. Nach meiner These die Transformation von Vorgestelltem ins Körperliche.

Dieser Entwurf will diese These nachvollziehbar machen. Als Konstrukt dient der Bericht der Atlantiküberquerung mit Segelyacht von Horst Schleberger. Die Dekonstruktion basiert auf autobiographischen Erkenntnissen, die anhand der Kulturgeschichte des Wassers und der Geschichte der Seefahrt theoretisiert werden sollen. „Denn nicht ist gewisser, als daß keiner jemals aus sich heraus kann, um sich mit den von ihm verschiedenen Dingen unmittelbar zu identifizieren: sondern alles, wovon er sicheres, mithin unmittelbare Kunde hat, liegt innerhalb seines Bewußtseins“ (Schopenhauer).

Vorstellung.

Wie so viele Segler, so quälte auch mich lange, lange Zeit der Gedanke wie es wohl sein würde, auf einem Schiff zu leben, den Atlantik zu überqueren oder sogar um die Welt zu segeln.

Im Zeitungsartikel wird berichtet, dass Horst Schleberger den Traum des Christoph Kolumbus träumte. Blickt man in die Geschichte der Seefahrt, lässt sich erahnen, was damit gemeint ist.

              Raum.

Wie Odysseus, der Heros in der griechischen Mythologie, den Übergang einer binnenländischen zu einer thalassalen Kultur markiert, so hebt mit Kolumbus die ozeanische Kultur der Geschichte an (vgl. Böhme: S.14). Sowohl in der Antike, als auch zu Beginn der Neuzeit ändert sich die Vorstellung von Raum. Beide Male wird das Bekannte erweitert. Auch Horst Schleberger durchläuft diese Entwicklung:

Ich bin 1940 geboren und seit 1957 Automobilkaufmann. Das Hobby Segeln habe ich seit ca. 30 Jahren. Angefangen hat alles auf einem der holländischen Binnenmeere.

Die Begrenztheit bestimmt die Erfahrung. Die Möglichkeiten der Binnenseefahrt sind mit dem eigenen Boot und dessen zweimaliger Vergrößerung erschöpft. Der nächste Schritt ist das Mittelmeer und die Nord- und Ostsee: Nachtsegeln, der erste Törn ohne Küstensicht, dann „Inselfinden“. Wie die Bestimmung des Flusses ist, ins Meer zu münden, so ist auch die Bestimmung des Segelns das Meer. Wagt man sich anfangs auch nur zaghaft weg von der Küste, so ist es doch unvermeidlich den Zweck zu erkannnen: Hinaus!

…und immer war der Wunsch nach einer ganz langen Segelreise da, nach einer Weltumseglung, nach einer…

Doch mit der Ausweitung der Raumvorstellung auf das Ozeanische und Globale, ist der Traum des Christoph Kolumbus noch nicht ausgeräumt!

              Entdeckung.

Christoph Kolumbus und andere am Beginn der Neuzeit ging es vor allem um die Entdeckung neuer Länder und dem damit verbundenen Zugewinn an Macht. Das gilt für einen Hobbysegler wie Horst Schleberger am Beginn des 21. Jahrhunderts nicht.

Was es heute zu entdecken gibt, zeigt ein Blick auf die Kulturgeschichte des Wassers. Hartmut Böhme schreibt (S.19): „es gab und gibt keine Kultur auf dieser Erde, die in ihren Symbolwelten nicht nachhaltig vom Element des Wassers bestimmt wäre; es gibt keine Dimension des Menschen – Körper, Seele, Geist – , die in ihrer Strukturform sich nicht auch durch die Erfahrung des Wassers gebildet hätte; es gibt keinen Sinn – Auge, Nase, Ohr, Mund, Haut, Gleichgewicht – , der nicht aufs heftigste oder zarteste durch Wasser affiziert werden könnte.“ Wie dieses Zitat zeigt, ist Wasser das Element des menschlichen Lebens, wie auch der menschlichen Kultur. Dadurch bestimmt es maßgeblich die Selbstbildung des Menschen. Zu entdecken wäre also mitunter das Selbst.

Abenteuer.

Wie eingangs erwähnt, lautet meine These: Abenteuer ist die Transformation von Vorgestelltem ins Körperliche – vom Geistigen ins sinnlich Erfahrbare.

Es stand für mich fest, […], ich wollte es selber tun, selber skippern, nur das war die Erfüllung des Traums. […], ich musste tun, was ich träumte. Wenn Bekannte, Freunde oder Verwandte mich fragten, warum ich das denn tun wollte, sagte ich immer nur: „Ich muss es tun, weil dieser Ozean mir einfach im Weg ist, weil er mir sonst immer im Weg sein wird.“

Wenn etwas im Weg steht, so befindet sich etwas zwischen einem Hier und Dort. Der Ozean zwischen Vorstellung und Erlebnis. Das Dazwischen ist der Ort der Transformation: Das Abenteuer Segeln.

              Ordnung.

Das Abenteuer beginnt mit der Planung.

Christian Röthig und ich flogen also im Mai nach Portugal und besichtigten die Tordo. […] Wir kontrollierten das Schiff genau, vermaßen alle Stauräume, die Kojen, die Kabinen und notierten und fotografierten alles was uns wichtig erschien. […] An Hand der Fotos war ein genauer Stauplan möglich und wir wussten schon weit vor unserer Abreise, wo sind die Batterien, das Funkgerät, die Küche etc. […] Mit allen Mitseglern, […], trafen wir uns  … im Sauerland, schlossen den Crewvertrag und verteilten die Aufgaben. Marika: Navigation. Karin: Kasse. Patrick: Dieseltechnik und Rechtsfragen, besonders Fragen der Ein- und Ausklarierung, Flaggenrecht etc., Andreas: Sicherheit und Wetter. Christian nur eine Aufgabe, aber eine gewaltige: Proviant und Wasser! Und für mich blieb: Kenntnisse der lokalen Gegebenheiten in der Karibik und Koordination als Skipper.

Der Großteil der Arbeit, die mit den einzelnen Aufgabenbereichen verbunden ist, kann und muss vor dem Auslaufen erledigt sein, sodass auf See nur noch das Tagwerk zu verrichten ist. Diese strikte Ordnung ist umso wichtiger, je kleiner die Crew ist. An Bord zeigt sich die Regelmäßigkeit im Wachrhythmus:

Der Wachplan: 24.00 bis 03.00, 03.00 bis 06.00, 06.00 bis 11.00, 11.00 bis 13.00, 13.00 bis 15.00, 15.00 bis 18.00, 18.00 bis 21.00, 21.00 bis 24.00.

Ordnung, Disziplin, Rhythmus wider die Natur, Zwang. So meint man anfangs. Doch es stellt sich heraus, dass gerade dieser Zwang Sicherheit gibt. Die Wachen werden zu Fixpunkten im turbulenten Leben auf See, sind oft das letzte Menschliche.

              Chaos.

Wir segelten nach Süden, Südwesten, in Richtung der Kanarischen Inseln, nach Lanzerote. Wind fast achterlich, fünf bis sechs, auffrischend auf sieben, hohe, sehr hohe Welle achterlich, Kotzkurs! Sechs Leute, drei Tage seekrank. Wir segelten trotz der Seekrankheit, im steten Wachwechsel, Meile um Meile nach Süden, […].

Seekrankheit ist eine Form der Kinetosen, der Reise- oder Bewegungskrankheiten. Die Bewegung macht krank. Bewegen lässt sich etymologisch sowohl auf wiegen, als auch die Lage verändern zurückführen. Genau das passiert beim Rollen und Stampfen des Schiffes auf stürmischer See! Interessant ist auch, die Symptome aus psychosomatischer Sicht zu betrachten: Man erlebt sich auf schwankendem Boden, ist nicht in seinem Element, hat sich nicht auf das Wasser eingelassen (vgl. Dahlke).

Böhme (S.20, S.24) schreibt hierzu: „Grundlegend für die Kulturgeschichte des Wassers ist der menschliche Leib, insofern er spezifisch wasserbezogene oder auch >wasserhafte< leibliche Gefühle und Raumstrukturen, sinnliche Lüste und Ängste entwickelt hat, […] Das Begehren, der Wunsch, die Angst usw. ähneln sich dem Begehrten, Gewünschten Befürchteten an bzw. werden sich selbst inne an den Erfahrungsmaterien, mit denen sich ursprünglich, d.h. von Beginn an unvermeidlich verbunden sind.“. Die Bewegung macht sich nicht nur körperlich bemerkbar, auch geistig. Sie öffnet die Tore zum Unbewussten. Ungeahntes kommt zum Vorschein. Verdrängtes: Ängste wie auch Instinkte. Man ist nicht mehr länger Beherrscher der Natur. Das Wasser löst das vom Menschen gedachte Subjekt-Objekt-Verhältnis auf, erzwingt die Einsicht, dass der Mensch in der Natur nicht nur handelt, sondern auch ist (vgl. Böhme: S.17).

Epilog.

Mit diesem Entwurf sollte einerseits der Versuch gemacht werden, das Segeln als Abenteuer begreifbar zu machen, indem Vorgestelltes dadurch Verkörperlicht wird. Andererseits sollte gezeigt werden, dass der Ort der Handlung, das Meer und Wasser, sowohl für die Geistes-, als auch die Kulturgeschichte des Menschen bestimmend ist. Die Verbindung beider in der Reflexion ermöglicht intuitiv Erfahrenes geistig bewusst zu machen. Das Abenteuer ist gelungen, wenn man mit neuen Erkenntnissen heimkehrt. Das Bekannte ist durch seine Grenzen bestimmt. Diese Bestimmtheit bringt Zweifel. Zweifel am Finden des Gesuchten im Bekannten. Würde man diese Möglichkeit in Betracht ziehen, gäbe es keinen Grund, das Abenteuer eizugehen. Man wähnt das Gesuchte im Unbekannten, wähnt das Finden im Abenteuer.

Literatur- und Quellenverzeichnis.

  • Böhme, Hartmut: Umriß einer Kulturgeschichte des Wassers. Eine Einleitung. In: Böhme, Hartmut (Hrsg.): Kulturgeschichte des Wassers. Frankfurt am Main: 1988, S.7-42.
  • Dahlke, Rüdiger: Krankheit als Symbol. Handbuch der Psychosomatik. Symptome, Be-Deutung, Bearbeitung, Einlösung. 6. Aufl., München: 1996.
  • Kluge, Friedrich: Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache. 24. durchges. und erw. Aufl., Berlin, New York: 2002.
  • Schopenhauer, Arthur: Die idealistische Grundansicht. In: Reutterer, Alois: Erkennen und Handeln. Einführung in die Philosophie. Wien: 1992, S.30.

Ihre Karin Ohrner

Ihre Karin Ohrner

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